21.12.2020: Advent, Advent

Mit der "Uhr aus dem Brunnen" hat Markus Engelmann, Geschäftsführer des SkF, eine eher nachdenkliche Geschichte für den Adventskalender beigesteuert.

Die Uhr aus dem Brunnen

Es träumte einer, der sich gerade in einer Mauserung fühlte, er stände über einem runden, steinernen Brunnenloch, dessen Mund war mit einem alten Gitter aus Eisenstäben kreuzweise verschlossen. Das hinderte ihn aber nicht, seine Angelschnur in den Brunnen zu tauchen, und siehe, er fischte eine Uhr heraus, eine große, viereckig-altmodische Wanduhr. Triefend vom Wasser brachte er sie – das Gitter war ihm dabei nicht im Weg – aufs Trockene. Er wollte die Zeit auf ihr lesen, aber so sehr er seine Augen auch mühte, immer rieselte Wasser über das Ziffernblatt, und er konnte nicht recht erkennen, welche Stunde die Uhr eigentlich zeigt. Da gab er´s auf und senkte die Uhr wieder – das Gitter war ihm dabei kein Hindernis – behutsam an der Angelschnur in den tiefen Brunnen zurück.

Er ging fort und ging durch die Straßen seiner Stadt; den Weg, den er immer zu seiner Arbeit ging, Geschäftsstraßen waren das, voller Läden, und dann und wann war an den Häusern eine Uhr. Er blickte gewöhnlich auf die Uhren, um sich zu vergewissern, wie spät es sei, um danach sein Tempo zu regeln; so tat er auch jetzt, aber er bemerkte etwas Sonderbares; die Uhren an seinem Weg zeigten zweierlei Zeit, die einen waren alle um ein paar Stunden weiter als die anderen. Da fuhr es ihm durch den Kopf: die Zeiten, die sie zeigten, sind alle beide falsch, die richtige Zeit stand auf der Uhr, die aus dem Brunnen kam.

Es nützt nicht viel, die weise Uhr aus dem Brunnen zu fischen, wenn man nicht lesen kann, wir ihre Zeiger stehen; aber wenn man weiß, daß sie im tiefen Brunnen liegt, gelingt es einem vielleicht zu merken, welche Stunde ihr Schlag unten summt.

(Hubertus Halbfas, der Sprung in den Brunnen - Eine Gebetsschule, Patmos Verlag 1981)